weil wir diesen Irrsinn mit der Sprachnation an uns haben vorübergehen lassen und uns stattdessen lieber an einen Typen gehalten haben, der vor nunmehr bald 800 Jahren seinem Sohn einen Apfel vom Kopf geschossen hat, worüber erst ein Deutscher ein Drama und anschliessend ein in Frankreich lebender Italiener eine Oper geschrieben hat (womit die drei benachbarten "kulturellen Orientierungsnationen" dann am Nation Building irgendwie doch beteiligt waren....
Habe mir diese Ausführungen nun reichlich durch den Kopf gehen lassen und frage mich, wie das eigentlich genau war mit diesem gelungenen Beispiel nichtnationalistischen Nationbuildings. Wenn man es so darstellt wie du, müsste man das Urheberrecht für Willensnation eigentlich den Dänen zusprechen. Dass sich die Städte Luzern, Zürich und Bern (und später Basel) mit den randalierenden Waldstätter Bauern verbündeten - war das irgendeiner Idee geschuldet oder wurde da lediglich aus der Not eine Tugend gemacht? (Wenn wir sie uns nicht vom Leib halten können, müssen wir halt irgendwie mit ihnen kooperieren.) Und was genau war dafür ausschlaggebend, dass zuerst Herr Bonaparte und dann der Wiener Kongress Neuauflagen des so entstandenen, zwischenzeitlich zur europäischen Grossmacht avancierten und zu weiten Teilen vom Export von Söldnern lebenden Schurkenstaats beschlossen - und dass dieser sich in der Folge bis heute zu behaupten wusste?
Nun aber zurück zum eigentlichen Threadthema: Bei allem Verständnis für dein Verständnis für Lettland: Wenn sie das durchziehen, was sie angedroht haben, dann - da muss man jetzt wohl einfach mal Klartext reden - ist das nichts anderes als eine ethnische Säuberung. Und absolut nicht zu vergleichen mit dem Vorgehen von Frankreich oder Italien im Elsass oder in Südtirol. Klar wurde da auch Druck ausgeübt. Die Werbebotschaft in den Strassburger Trams war nach meinen Informationen etwas weicher formuliert als von dir zitiert, nämlich "C'est chic de parler français." (Dass mein Berichterstatter dabei ausgerechnet Schickelé heissen musste - na ja, shit (oder shick) happens ) Der langen Rede kurzer Sinn: Mir wäre nicht bekannt, dass im Elsass Leute wegen mangelnder Französischkenntnisse des Landes verwiesen worden wären.
In Südtirol einigten sich Hitler und Mussolini auf die so genannte Option, auf die deine Ausführungen implizit anzuspielen scheinen. Zum einen müssen wir uns bewusst sein, dass Hitlerdeutschland und Italien damals Diktaturen waren, mit denen das heutige Lettland sich hoffentlich nicht vergleichen lassen möchte. Zum anderen war dieses Vorgehen immer noch weit von dem entfernt, was Lettland jetzt macht. Anders als du suggerierst hatte die erwähnte 'arme Frau' nämlich keine freie Wahl zwischen der lettischen und der russischen Staatsbürgerschaft. Die russische nahm sie nur aus einer Notlage heraus an, nachdem Lettland sie (mit vielen anderen) ausgebürgert und zu einer Staatenlosen gemacht hatte.
Mutmasslich richtet sich dieses Gesetz auch nicht gegen eher harmlose ältere Damen, denen es offenbar in den letzten 5 Jahrzehnten nicht gelungen ist, eine auch noch entfernt verwandte Sprache auf A2-Niveau zu erlernen, die auch in Daugavpils gesprochen wird, sondern eben genau an diejenigen, die aus Sowjetzeiten geblieben sind und davon träumen, dass Grossrussland eines Tages auch im Baltikum wieder das Szepter schwingen möge.
Das dünkt mich eine etwas gewagte Mutmassung. Selbst wenn sie stimmen sollte: Sollen wir Lettland jetzt nach dem beurteilen, was es beabsichtigte, oder nach dem, was es tatsächlich tut? Ich könnte dir noch so einige Katastrophen und Massaker aufzählen, die mutmasslich so nicht beabsichtigt waren. Für mch bleibt es dabei: Dieses Vorgehen ist beispiellos. Mit Sowjetnostalgikern könnte man auch durchaus anders umgehen - solange sie (wie wohl die meisten) nur träumen, einfach träumen lassen; die wenigen wirklich gefährlichen muss man halt überwachen - gerade für sie dürfte der Deutschtest das kleinste Problem darstellen. Dieses idiotische Instrument trifft nicht Staatsfeinde, sondern zielt in rücksichtsloser und zynischer Weise auf Unschuldige wie die beschriebenen alten Frauen.