Quelle: NZZ, 23. Dezember 2008
Hinter den Gleisen machen die SBB ihr Land zu Geld
Bahn will in Zürich über 2,4 Milliarden Franken in Bauprojekte investieren
Die SBB sind im Besitz der wohl grössten Baulandreserven der Stadt Zürich. Auf den Grundstücken sollen in Zukunft Büros, Wohnungen und Läden entstehen. Linke und Genossenschaftsvertreter fordern eine öffentliche Debatte über die künftige Nutzung der «Filetstücke».
Demnächst werden die ersten Arbeiten für den Stadtraum HB in Angriff genommen. Dort investieren die Bahn und andere insgesamt rund 1,5 Milliarden Franken. Dieses Vorzeigeprojekt ist allerdings nur das erste und grösste in einer ganzen Reihe von Bauvorhaben, wie Andreas Steiger, der zuständige Projektleiter der SBB, erklärt. Die SBB besitzen in der Stadt Zürich noch weitere grosse Landflächen, die meist zentral gelegen und – durch die Bahn – hervorragend erschlossen sind. In Zukunft sollen sie dem Standort entsprechend genutzt werden und Geld in die SBB-Kasse spülen. Verwendet werden die Einkünfte zur Sanierung der eigenen Pensionskasse.
Westlink und Letzibach in Altstetten
Am weitesten fortgeschritten ist das Projekt Westlink – wenn man vom Polizei- und Justizzentrum absieht, das auf das Areal des ehemaligen Güterbahnhofs zu liegen kommen wird. Westlink ist eine 20 000 Quadratmeter grosse Parzelle neben dem Bahnhof Altstetten, wo dereinst auch die verlängerte Tramlinie 4 wenden wird. Entstehen sollen hauptsächlich Büros für die SBB, aber auch 7000 Quadratmeter Wohnfläche und 1500 Quadratmeter Läden.
Den Architekturwettbewerb hatte das Zürcher Büro Birchmeier Uhlmann zusammen mit Park Architekten gewonnen. Die Realisierung hätten die SBB aber dem Zürcher Atelier Wäschle Wüst übertragen, sagt Steiger. Wie bei den meisten ihrer Projekte wollen die SBB das Areal Westlink bis zur Baureife entwickeln und dann Investoren suchen. Nur einige wenige sogenannte Triple-A-Projekte, die wie der Stadtraum HB direkt neben grossen Bahnhöfen gelegen sind, verbleiben laut Steiger im Portefeuille der Bahn.
Zwischen dem Bahnhof Altstetten und dem Hauptbahnhof erstreckt sich entlang der Hohlstrasse ein ganzer Streifen Land, der den SBB gehört und in den nächsten Jahren entwickelt werden soll. Für das 11 000 Quadratmeter grosse Areal Letzibach C läuft zurzeit ein Architekturwettbewerb. Hier sollen vor allem Mietwohnungen entstehen. Auch auf dem Teilareal D ist Wohnungsbau geplant, allerdings erst zwischen 2014 und 2018.
Hauptwerkstätten werden teilweise frei
Stadteinwärts schliessen die SBB-Hauptwerkstätten ans Letzibachareal an. Für dieses Gebiet wird gegenwärtig eine Testplanung vorbereitet. Die Ausgangslage ist hier komplizierter. Einerseits wird ein Teil weiterhin für Bahnnutzungen benötigt. Andererseits sind die alten Hallen zumindest teilweise Denkmalschutzobjekte. Dennoch soll auch die Hälfte dieses 90 000 Quadratmeter grossen Areals in 5 bis 10 Jahren überbaut sein. In die Hallen, die stehen gelassen werden, könnten Industrie- und Gewerbebetriebe einziehen, Zwischennutzungen oder beispielsweise ein Baumarkt, erläutert Steiger.
Darum herum bleibe Platz für Wohnungen und weitere Nutzungen. Noch völlig offen ist die künftige Nutzung des Rohmbe-Areals (Rohmbe steht für Rohmaterialbereitstellung). Hier bestehen Baurechte bis 2025, mittelfristig soll aber auch auf diesem Gebiet, das ans geplante Polizei- und Justizzentrum des Kantons grenzen wird, etwas Neues entstehen. Und auf dem sogenannten Kohledreieck baut das Architekturbüro Ballmoos Krucker Büros für die SBB-Baudienste.
Auch in Oerlikon und Wollishofen
Im Stadtraum HB soll im nächsten Mai der Grundstein für die neue pädagogische Hochschule gelegt werden. In weiteren Etappen werden ein Streifen entlang der Lagerstrasse bis zur Langstrasse und zwei Parzellen auf der anderen Seite des Bahnhofs an der Zollstrasse neu überbaut. Auch hier dürfte ein Nutzungsmix aus Büros, Läden und Wohnungen entstehen.
Im Vergleich zu den Projekten im Stadtzentrum nehmen sich die Parzellen, die bei den anderen Bahnhöfen zur Verfügung stehen, bescheiden aus. Beim Bahnhof Tiefenbrunnen soll ein Areal von 4000 Metern Grösse, auf dem sich heute eine Parkierungsanlage befindet, entwickelt werden. In Oerlikon steht direkt an den Bahngleisen ein 5400 Quadratmeter grosser Streifen an der Hofwiesenstrasse zur Verfügung sowie ein Dreieck an der Andreasstrasse. Hier hat die Planung noch nicht begonnen. Besonders die Andreasstrasse liegt den SBB aber am Herzen, da dieses Gebiet zu einem attraktiven Tor zum Leutschenbachareal werden soll. Auch in Wollishofen kann neben dem Bahnhof ein 5000 Quadratmeter grosses Areal überbaut werden.
So erfreulich es ist, dass bisher unzugängliche SBB-Areale einer neuen Nutzung zugeführt werden: Nicht alle sind glücklich über die Pläne der Bahn. Niklaus Scherr, Gemeinderat der Alternativen Liste, kritisiert, dass die Planung hinter verschlossenen Türen stattfinde, und hat einen entsprechenden Vorstoss im Stadtparlament eingereicht. Die SBB seien ein öffentlicher Betrieb, und bei den Grundstücken handle es sich nicht um x-beliebiges privates Eigentum, begründet er seine Kritik. Das Land sei in den Zeiten des Bahnbaus teilweise enteignet worden. Wenn es nicht mehr für die Zwecke der Bahn benötigt werde, so sei zumindest eine öffentliche Debatte über diese «Filetstücke» anzustreben.
Ausserdem hätten die Steuerzahler die Infrastruktur, welche die Standortgunst der Grundstücke ausmache, kräftig mitfinanziert. Es sei daher stossend, wenn die SBB jetzt ihren Profit maximieren wollten. Darauf entgegnet Steiger, die SBB seien sich ihrer Verantwortung bewusst und stellten gemeinsam mit der Stadt über Wettbewerbe sicher, dass eine hohe städtebauliche Qualität und eine durchmischte, nachhaltige Nutzung entwickelt würden. Die SBB würden die Planungsprozesse transparent gestalten und den Kontakt zu den verschiedenen Anspruchsgruppen pflegen.
Keine Chance für Baugenossenschaften
Unzufrieden mit der Planung der SBB sind auch die Baugenossenschaften, wie Peter Schmid, Präsident des Vereins für Wohnungswesen, erklärt. Genossenschaften haben zunehmend Mühe, in der Stadt noch Land zu finden, möchten aber ihren «Marktanteil» bei den Mietwohnungen halten. Schmid sagt, er hätte erwartet, dass die SBB als öffentliche Institution einen Teil des Landes für genossenschaftlichen Wohnungsbau zur Verfügung stellen würden. Da die Bahn aber die maximale Rendite erzielen wolle, fielen die Genossenschaften an diesen Lagen aus dem Rennen.
Er hofft, dass die Stadt den SBB im Rahmen der notwendigen Umzonungen Bedingungen stellen wird. Ein Teil der Planungsgewinne könnte dazu verwendet werden, gewisse Parzellen günstiger an Genossenschaften abzugeben, schlägt er vor.