• Sind wir jetzt wieder an dem Punkt, an dem der russische Einmarsch dann letztlich doch die lang ersehnte Befreigung der unterdrückten und geknechteten Minderheit war?

    Dazu dürfte es unter den Betroffenen ganz unterschiedliche Einschätzungen geben. Einige dürften das durchaus so gesehen haben - ob immer noch oder nicht mehr so ganz oder jetzt erst recht, wissen wir genausowenig wie wieviele es waren.

    Und was ich mit Haupttext und Klammerbemerkung sagen will, ist glaub recht deutlich. Butscha - Mariupol - unsoweiter undsofort.

    Das muss jetzt aber auch nicht bei jeder mehr oder weniger passenden Gelegenheit wiederholt werden. Klar, jede aus militärischer Sicht nicht unbedingt nötige Tötung von Zivilisten ist ein Kriegsverbrechen und als solches durch nichts zu rechtfertigen. Und ebenso klar, dass die Rote Armee und ihre Nachfolgeorganisation solche in grosser Zahl beging. Zu Butscha muss man schon auch ergänzen, dass die zwei Wochen nach der Rückeroberung entstandenen schockierenden Bilder wohl nicht allzuviel darüber aussagen, wie die Opfer genau zu Tode gekommen waren - was natürlich nichts an der Verwerflichkeit ihrer Ermordung ändert. Ich will das Ausmass russischer Kriegsverbrechen keineswegs herunterspielen oder entschuldigen, aber eines musst du mir trotzdem zugestehen - nämlich das Ganze in einen grösseren Zusammenhang zu stellen. Und da muss ich halt dann doch auch auf das Vorgehen z.B. der Amerikaner in Vietnam oder im Irak oder das Wüten der Hamas hinweisen. Nochmal: nicht um irgendetwas zu entschuldigen, aber doch um gewisse Relationen aufzuzeigen. Krieg ist immer die Hölle für die Betroffenen, und genau deshalb halte ich es für verfehlt und unmoralisch, den bisher Überlebenden einen Sieg in Aussicht zu stellen, der sie für alles erlittene entschädigen würde.

  • Ich glaube auch nicht, dass es darum geht. Sondern es geht vielmehr um die Entscheidung, diesen Krieg weiterzuführen oder ein mehr oder minder integraler Bestandteil von Putins Unrechtsstaat zu werden.

    Ansonsten gestehe ich Dir alles zu, was Du möchtest. Von mir aus auch die - bei jeder mehr oder weniger passenden Gelegenheit - wiederholten Vergleiche mit dem begangenen Unrecht anderer, bei denen es mutmasslich nicht nur mir schwerfällt, einen relativierenden Kontext ganz zu übersehen,

    Um es ganz klar zu sagen: Die Ukraine und die Ukrainer:innen sind/ waren bestimmt keine Engel (zumindest nicht alle) - und das schon gar nicht unter Poroschenko (da gab es vor einigen Wochen im Spiegel einen sehr interessanten und sehr differenzierten Artikel, in dem es u.a. um den Maidan ging - ich musste da mehrfach an Dich denken....). Aber das alles rechtfertigt niemals - niemals - niemals! diesen Angriffskrieg. Das mit tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligungen der russischsprachigen Bevölkerung zu begründen kommt mir leider vor, wie - entschuldige, dass ich mal wieder in die historische Mottenkiste greife - der Versuch, den Überfall auf Polen und damit den Zweiten Weltkrieg mit den unbestrittenen Benachteiligungen und teilweisen Entrechtungen der deutschsprachigen Bevölkerung in den im Versailler Vertrag an Polen verlorenen Gebieten zu rechtfertigen oder auch nur zu begründen. Leider (oder gottseidank) ist das eine genau so falsch wie das andere - jedenfalls meiner unmassgeblichen Meinung nach.

  • Wir müssten vielleicht mal einige Begriffe wie 'begründen' und 'erklären' oder auch 'entschuldigen' und 'verstehen' genauer definieren.

    Und falls du den differenzierenden Maidan-Artikel in verlinkbarer Form vorliegen haben solltest: Jederzeit gern - und ich verspreche dir hoch und heilig eine unpolemische, nüchterne und möglichst 'neutrale' Rezeption :)

    Jetzt aber:

    die Entscheidung, diesen Krieg weiterzuführen oder ein mehr oder minder integraler Bestandteil von Putins Unrechtsstaat zu werden

    Auch darum geht es m.E. nicht. Zumindest eine Grenze entlang des Dnjepr könnte die Ukraine mit der weiterhin zu erwartenden (nicht grenzenlosen) Hilfe des Westens und bei voller Nutzung der bestehenden defensiven Möglichkeiten sicher auch langfristig verteidigen. Aber das darf man natürlich nicht laut aussprechen, weil wir der Ukraine natürlich nicht zumuten möchten, sich so weit zurückziehen zu müssen. Auch die anscheinend bevorstehende russische Offensive wird daran wahrschenlich nicht viel ändern und höchstens Grenzverschiebungen im einstelligen Kilometerbereich bringen. Die Krim kriegen sie allerdings wohl mit vertretbarem Aufwand in absehbarer Zeit kaum mehr zurück. Für das Völkerrecht ist das natürlich ein Rückschlag; für eine realpolitische Bewertung müsste man noch genauer hinschauen.

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