Politisch-gesellschaftliche Aspekte bei der Taufe von Dingen (aus: RABDe 500 ICN)

  • Florian, nein das ist absolut nicht das Gleiche!

    Wenn ein Künstler im 2003 mit einer Widmung auf einem Zug geehrt wird (die Leute werden sich damals sicherlich Ihre Gedanken gemacht haben) dann hat das in erster Linie NUR mit seinem Schaffen als Künstler zu tun.

    Wenn nun in späteren Jahren eine allfällige Verflechtung (ob Auftritte wirklich eine Verflechtung sind?) dieser Person hinter Grock zum Nazi Regim hergestellt wird (ob korrekt oder nicht kann heute niemand zu 100% sagen) ist das garantiert nicht das Gleiche wie wenn ein Diktator Strassen nach sich benennen liess und die nach dem Krieg umbenannt wurden.....

    Niemand von uns weiss und kann sagen was genau zu 100% war.

    Niemand von uns kann sagen ob es einen Einfluss auf die künstlerische Tätigkeit von Grock hatte oder ob es anders geworden wäre.

    Genau aus diesem Grund bin ich der Meinung, dass es besser ist einen allfälligen Hinweis anzubringen als etwas zu entwidmen.

    So setzt man sich in meinen Augen mit der Vergangenheit auseinander und nicht mit beliebigem Umbenennen etc.....

    Wer sagt nicht, dass plötzlich in 2 Jahren mit neuen Informationen eine gegenteilige Situation entstehen könnte?

    Würde der Zug dann wieder Grock gewidmet??

    Zudem, niemand ist unfehlbar.

    Was ist, wenn die Person "Grock" einer Einladung nach DE gefolgt ist ohne Nachzudenken??

    Wem ist so etwas Fehler nicht auch schon passiert?

    Wir werden uns nun immer im Kreis drehen, denn niemand weiss was da zu 100% geschehen ist.

    Freundlicher Gruss Luca
    SBB - BLS - RM = DC Bahner 8)

  • Na ja, nicht ganz. Unter Unständen hilft da schon, die gute alte Wikipedia zu bemühen und eins und eins zusammenzuzählen. Auftritte im 2.Weltkrieg für KdF und ein Hauskauf inkl Übersiedlung ins faschistische Italien sind schon echlii öppis andrigs als versehentlich das Glückwunschtelegramm an Hitler zu schicken, das eigentlich für den lieben Onkel Winston aus London gedacht war.....

  • Es geht doch eben genau nicht darum, etwas zu verdrängern, sondern dass man das Verehren einstellt. Es ist doch eine Anerkennung so geehrt zu werden, keine Mahnung. Namen von Strassen und Zügen dienen dem Ehren/Anerkennen der Benannten, nicht dem Erinnern an schlechtes.

    Ansonsten, warum sind denn die ganzen Adolf-Hitler-Strassen in Deutschland verschwunden? Als Säuberung zur Verdrängung? Wohl kaum. Als Mahnung hätten die deiner Logik nach so weiter genannt werden müssen, denn bei diesem riesigen Unrecht hätte es ja gleiche viele hunderte Strassen zur Mahnung gebraucht (und nicht nur ein Zug).


    Gruss

    Florian

    Der Fall ist in meinen Augen nicht vergleichbar. Die Benennung nach verstorbenen oder gar noch lebenden Personen des politischen Lebens ist in totalitären Staaten ja auch Teil der Machtdemonstration. Von daher ist es nach einem "Regime-Change" (um das mal möglichst neutral zu formulieren) ganz bewusste "cancel culture", wenn diese Namen verschwinden. Das ging zahllosen Kommunisten in der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung ja nicht anders.

    Den Fall Grock kann man hiermit m.E. nicht ganz vergleichen. Grock ist sicher weiterhin unzweifelhaft Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses der Schweiz. Die Punkte, dei gegen seine Ehrung sprechen, hätte man auch vor 20 Jahren schon kennen müssen. Offenbar wurden sie damals weniger stark gewichtet als die - ja weiterhin unbestrittene - Bedeutung seines künstlerischen Schaffens. Und da kommen wir genau an den Punkt, warum bei mir die Umbenennung ein gewisses Störgefühl auslöst (auch wenn ich sie gut nachvollziehen - siehe mein Beitrag weiter oben): Die Streichung solcher Ehrungen hat auch etwas mit dem Reinwaschen des eigenen kollektiven Gedächtnisses zu tun. Was kommt als nächstes? "Le Corbusier" wurde schon genannt. Richard Wagner dürfte man vermutlich auch nicht mehr spielen, wenn man überlegt, wie sehr sich seine Nachkommen den Nazis an den Hals geworfen haben (unnd umgekehrt). Vielleicht müsste man auch die Ems-Chemie enteignen (Papa Blocher war ja nun auch alles andere als unbelastet)? Das Beispiel mit diversen historischen Plätzen oder Gebäuden ("Gasthaus zum Mohren") wurde schon genannt.

    Aus meiner Sicht ein schwierig zu definierender Graubereich, der halt irgendwann insofern beliebig zu werden droht, da er dann stark vom jeweiligen Zeitgeist abhängt. Die Verstrickung vermeintlich unpolitischer Personen mit dem dritten Reich könnte sich im Bezug auf das ehrende Angedenken an diese genauso als "Büchse der Pandora" erweisen, wie die Modifikation historischer Begriffe im Sinne einer "political correctness". Wobei eben - ich bin da wirklich selber hin- und hergerissen, ich kann wirklich nicht für michbehaupten, dass ich es richtig fände, es alles so zu lassen. Aber "zack und weg" ist eben unter Umständen auch schwierig, wenn man es konsequent zu Ende denkt.

  • Na ja, nicht ganz. Unter Unständen hilft da schon, die gute alte Wikipedia zu bemühen und eins und eins zusammenzuzählen.

    Ich hatte den schon konsultiert, wäre aber vorsichtig.

    Ich bin immer an zusätzlichen Informationen interessiert. Die letzte Änderung bei Wikipedia basiert scheinbar ziemlich stark auf dem NZZ Artikel, das finde ich etwas dürftig (zumal die meisten Wikipedia User keinen Login der NZZ haben).

    Bin aktuell etwas am Nachforschen zu diesem Thema :)

    Freundlicher Gruss Luca
    SBB - BLS - RM = DC Bahner 8)

  • Um diesen meinen Gedanken aus dem vorverherigen Post vielleicht noch mit ein paar provokativen Fragen weiterzuspinnen:

    Müsste man vielleicht beim nördlichen Nachbarn Konrad Adenauer aus dem kollektiven Gedächtnis streichen, weil er 1953 mit Hans Globke einen der Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze zum Chef des Bundeskanzleramts berief (und Globke diese Position reichlich nutzte, um belasteten Personen v.a. die Rückkehr und den Aufstieg im Justizdienst zu erleichtern)?

    Dürfte man Carl Orffs "Carmina Burana", eines der meist gespielten Chorwerke, weiterhin so unkritisch aufführen, wie dies geschieht - angesichts seines Verhältnisses zum NS-Staat (nachfolgend Zitat aus Wikipedia) - insbesondere die Passage mit dem "Ersatz-Sommernachtstraum" für den MEndelssohn´schen "Evergreen" der klassischen Musik finde ich schon extrem bedenklich:

    Orff nahm mehrere Aufträge der Machthaber an: Sein Einzug und Reigen der Kinder wurde zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin aufgeführt. Im Auftrag der Stadt Frankfurt überarbeitete er 1939 sein Bühnenwerk zu Shakespeares Ein Sommernachtstraum, dessen erste Fassung 1917 erschienen war und das nun als Ersatz für die Sommernachtstraum-Musik des als jüdisch geächteten Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy dienen sollte. Von Baldur von Schirach, der als Reichsstatthalter in Wien umfangreiche kulturpolitische Aktivitäten entwickelte, wurde er während des Krieges für die Wiener Staatsoper engagiert[8] und erhielt den Auftrag für die Oper Antigonae. Von 1941 bis 1945 bezog Orff für seine Arbeit ein festes Monatsgehalt aus Wien, das ihn erstmals in seiner Karriere finanziell unabhängig machte. An der Staatsoper aufgeführt wurden in dieser Zeit unter anderem die Carmina Burana.[9] 1944, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs, wurde Orff von Hitler auf der „Gottbegnadeten-Liste“ genannt,[10] wodurch er vom Wehrmachts- und Arbeitseinsatz an der Heimatfront freigestellt war, nicht zuletzt wegen des aus der Sicht der Machthaber schützenswerten „deutschen Kulturerbes“.

    Meines Erachtens geht das in der Summe schon erheblich über ein "nun ja, er hat da gelebt und ist da so reingerutscht und musste da irgendwie durch" hinaus. Nach meienr Kenntnis ist aber bisher noch nirgendwo jemand auf den Gedanken gekommen, Orff-Nennungen wieder zu streichen oder gar seine Werke deshalb seltener aufzuführen.

    Oder ein ganz anderes Beispiel: Hätte der "Volkswagen", der direkte aus dem "KdF-Wagen" hervorging und dessen Werk ab 1936 eigens zu diesem Zweck entstand inklusive der Gründung einer eigenen zugehörigen "Stadt des KdF-Wagens" (dem heutigen Wolfsburg) nach dem Krieg derart unkommentiert zum Symbol des deutschen Wirtschaftswunders und einem der grössten Exportschlager auch in die ehemaligen Gegnerstaaten des zweiten Weltkriegs werden dürfen?

    Zurück zu Glock: es ist ja nicht so, dass seine "Verstrickungen" in den Nationalsozialismus nicht nach dem Krieg diskutiert und ihm zum Vorwurf gemacht worden wären. Nur hat die kollektive Meinung dann offenbar irgendwann beschlossen, ihm zu verzeihen (oder aber - möglciherweise wahrscheinlicher, wenn auch nicht besser: viele fanden das eigentlich nicht so tragisch....). Von daher war das alles auch zum Zeitpunkt der Benennung des ICN durchaus bekannt. Von daher wiederhole ich hier mein Statement: es wäre seinerzeit wohl geschickter gewesen, auf den Namen zu verzichten. Ob es - genau aufgrund dieser Vorgeschichte - eben und gerade auch der Schweizer "Glock-Rezeption" der richtige Weg ist, das jetzt einfach zu löschen - ich weiss es wirklich nicht!

    Vielleicht muss man einfach damit leben, dass berühmte Persönlichkeiten, die zwischen 1933 und 1945 lebten, irgendwie ein Verhältnis zu diesem Regime ausbilden mussten - und das war sicher für Perspnlichkeiten des deutschsprachigen Kulturraums schwieriger als für andere. Und dann muss man entscheiden, ob man sie trotz eventueller Verstrickungen weiter würdigen will, sie wegen ihrer Verstrickungen ächten will (was die Frage aufwirft, wo man anfängt und wo man aufhört) oder eben den möglichen dritten Weg der "histrorisch-kritischen Würdigung" geht.

  • Das sind jetzt Gedankengänge, die für mein Schweizer Hirn zu abstrakt sind.

    Wir schaffen das ;)

    Zu (1):

    Ich werde langsam etwas allergisch auf das (in letzter Zeit auch in anderem Zusammenhang vorgebrachte) Argument, weil sich die zuständigen Leute schon ihre Gedanken gemacht hätten, dürfe das Ergebnis ihrer Überlegungen nicht mehr in Frage gestellt werden.

    Zu (2):

    Die Gegenthese könnte lauten: Genau diese Art von Sauglattismus wird in Diktaturen regelmässig dazu eingesetzt, das für dumm verkaufte Volk bei Laune zu halten.

    Zu (3):

    Du scheinst schon sehr genau zu wissen, wie man sich mit Problemen der Vergangenheit auseinandersetzt.

    Zu (4):

    Ja, die Einschätzung unterliegt dem Zeitgeist und ist wandelbar, s. auch unten.

    Zu (5):

    Niemand kann das von sich behaupten. Aber darum geht es hier nicht. Wir bilden hier kein Strafgericht. Vielmehr geht es um die Frage, welche 44 Schweizer Persönlichkeiten sich am besten als 'Botschafter für die Werte der SBB' eignen.

    (1) Das ging zahllosen Kommunisten in der DDR nach der deutschen Wiedervereinigung ja nicht anders.

    (2) Die Punkte, die gegen Grocks Ehrung sprechen, hätte man auch vor 20 Jahren schon kennen müssen. Offenbar wurden sie damals weniger stark gewichtet als die - ja weiterhin unbestrittene - Bedeutung seines künstlerischen Schaffens.

    (3) Was kommt als nächstes? "Le Corbusier" wurde schon genannt. Richard Wagner dürfte man vermutlich auch nicht mehr spielen, wenn man überlegt, wie sehr sich seine Nachkommen den Nazis an den Hals geworfen haben (unnd umgekehrt). Vielleicht müsste man auch die Ems-Chemie enteignen (Papa Blocher war ja nun auch alles andere als unbelastet)?

    (4) Aus meiner Sicht ein schwierig zu definierender Graubereich, der halt irgendwann insofern beliebig zu werden droht, da er dann stark vom jeweiligen Zeitgeist abhängt.

    Zu (1): Wenn du mich fragst, hätte man hier durchaus etwas zurückhaltender vorgehen und Leistungen von DDR-Bürgern, soweit sie nicht aktiv in Menschenrechtsverletzungen involviert waren, weiterhin eine gewisse Wertschätzung entgegenbringen dürfen.

    Zu (2) und (4) s. unten.

    Zu (3): Findest du das im Ernst ein valables Argument? Willst du jetzt wirklich an Grock festhalten, nur um Diskussionen über Corbusier oder die Blocher-Saga im Keim zu ersticken?

    Es geht hier - ich wiederhole mich - eben weder um Aufführungsverbote noch um Enteignungen, sondern schlicht und einfach um die Frage, wer als Botschafter für die Werte der SBB (die sich im Laufe der Zeit auch wandeln dürfen) geeignet ist.

    (1) Müsste man vielleicht beim nördlichen Nachbarn Konrad Adenauer aus dem kollektiven Gedächtnis streichen, weil er 1953 mit Hans Globke einen der Kommentatoren der Nürnberger Rassegesetze zum Chef des Bundeskanzleramts berief (und Globke diese Position reichlich nutzte, um belasteten Personen v.a. die Rückkehr und den Aufstieg im Justizdienst zu erleichtern)?

    (2) Zurück zu Glock: es ist ja nicht so, dass seine "Verstrickungen" in den Nationalsozialismus nicht nach dem Krieg diskutiert und ihm zum Vorwurf gemacht worden wären. Nur hat die kollektive Meinung dann offenbar irgendwann beschlossen, ihm zu verzeihen (oder aber - möglciherweise wahrscheinlicher, wenn auch nicht besser: Viele fanden das eigentlich nicht so tragisch).

    (3) Vielleicht muss man einfach damit leben, dass berühmte Persönlichkeiten, die zwischen 1933 und 1945 lebten, irgendwie ein Verhältnis zu diesem Regime ausbilden mussten - und das war sicher für Perspnlichkeiten des deutschsprachigen Kulturraums schwieriger als für andere. Und dann muss man entscheiden, ob man sie trotz eventueller Verstrickungen weiter würdigen will, sie wegen ihrer Verstrickungen ächten will (was die Frage aufwirft, wo man anfängt und wo man aufhört) oder eben den möglichen dritten Weg der "histrorisch-kritischen Würdigung" geht.

    Zu (1) und (3): Adenauer finde ich eine höchst faszinierende, aber auch zwiespältige Figur. Um die weitere Entwicklung der BRD zu verstehen, ist es wohl absolut fundamental, sich mit dieser Figur auseinanderzusetzen. Als Botschafter für die von mir hochgehaltenen Werte würde ich ihn aber nicht unbedingt sehen.

    Und wie Adenauer gibt es eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, für die eigentlich nur dieser dritte Weg einer "histrorisch-kritischen Würdigung" in Frage kommt. Diese Persönlichkeiten dürfen wir keineswegs aus unserem historischen Bewusstsein tilgen, aber wir müssen sie nicht unbedingt als Vorbilder hinstellen, vor denen man in Ehrfurcht zu erstarren hat.

    Zu (2) sowie obige Punkte (2) und (4) und Punkt (4) von sbb_bls_rm:

    "Viele fanden das eigentlich nicht so tragisch." Das ist ja genau der Punkt. Der Zeitgeist von 2003 fand das nicht so tragisch. Und die Beurteilung hängt nun eben vom Zeitgeist ab, was allerdings nicht heisst, dass sie beliebig ausfällt. Vielmehr sehen wir an diesem Beispiel, dass der Zeitgeist sich in den letzten 20 Jahren entscheidend weiterentwickelt hat. Zwar hatte das Selbstbild einer Schweiz, die unverwundbar ist und über allen Niederungen der Zeitgeschichte steht, schon damals, im Herbst 2001, einige empfindliche Schläge einstecken müssen; diese dürften ihre Wirkung auf unser Bewusstsein aber erst langsam und allmählich entfaltet haben. Und es folgten ja weitere 2014und eben erst, 2023. Per Fazit heisst das für mich, dass die Einschätzung von 2003 im Lichte des heutigen Bewusstseinsstandes schlicht nicht mehr vertretbar ist.

  • Vielleicht muss man einfach damit leben, dass berühmte Persönlichkeiten, die zwischen 1933 und 1945 lebten, irgendwie ein Verhältnis zu diesem Regime ausbilden mussten - und das war sicher für Perspnlichkeiten des deutschsprachigen Kulturraums schwieriger als für andere. Und dann muss man entscheiden, ob man sie trotz eventueller Verstrickungen weiter würdigen will, sie wegen ihrer Verstrickungen ächten will (was die Frage aufwirft, wo man anfängt und wo man aufhört) oder eben den möglichen dritten Weg der "histrorisch-kritischen Würdigung" geht.

    Das sehe ich relativ ähnlich. Man muss schlichtweg sich immer wieder vergegenwärtigen, dass wir hier über Menschen reden, keine Heiligen.

    Das Problem ist auch nicht allein auf 1933-1945 begrenzt... Es gibt ja noch andere problematische Ansichten, nicht nur den Umgang mit dem Nationalsozialismus. "Unsere" Geschichte (es gibt ja eigentlich kein kollektives Geschichtsgedächtnis bzw. -bewusstsein), ändert sich auch dadurch, wie man sie aus der aktuellen Sichtweise betrachtet. Das relativiert manche große Staatsmänner - wie Adenauer - durchaus auch.

    Es ist schwierig einen solchen Namen am Fahrzeug zu haben und dann - irgendwie - eine Plakete anzubringen, die auf die differenzierte Betrachtung der Persönlichkeit eingeht. Bei Straßennamen finde ich dagegen solche erläuternden Plaketten durchaus schön und sinnvoll.

    Persönlich finde ich den Begriff "Cancel culture" schwierig, zumal es eher ein Kampfbegriff politisch rechts stehender ist, der politisch linken ein Verhalten vorwirft, welches politisch eher rechts stehende selbst anwenden.

  • Zu (3): Findest du das im Ernst ein valables Argument? Willst du jetzt wirklich an Grock festhalten, nur um Diskussionen über Corbusier oder die Blocher-Saga im Keim zu ersticken?

    Es geht hier - ich wiederhole mich - eben weder um Aufführungsverbote noch um Enteignungen, sondern schlicht und einfach um die Frage, wer als Botschafter für die Werte der SBB (die sich im Laufe der Zeit auch wandeln dürfen) geeignet ist.

    Ich sage ja die ganze Zeit, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich an Grock festhalten würde.... Und wenn ja, wäre gewiss der Grund nicht, damit man keine DIskussionen zu Le Corbusier oder dem Blocher-Clan führt. Da drehst Du jetzt Ursache und Wirkung um.

    Mir ging es einfach darum, darauf hinzuweisen, dass eine Tilgung dieses Namens bei konsequenter Anwendung der dahinterstehenden Motivation dazu führen kann, dass eine ganze Generation von Kulturschaffenden und Politikern aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt (oder in der Wahrnehmung zumindest stark reduziert) werden könnten, weil sie in irgendeiner Form "kontaminiert" worden sind.

    Vermutlich wäre das im Fall der Benennung eines ICN auch noch zu rechtfertigen, von daher sind wir da gar nicht so weit auseinander. Aber grundsätzlich wollte ich da einfach zu etwas Vorsicht raten. Was mich zudem gedanklich umtreibt, ist schlicht die Sorge um eine gewisse Willkür: da gräbt jemand etwas über eine bestimmte Person aus und die fällt dann in kollektive Ungnade, während es bei anderen schlicht unbeachtet bleibt oder die Geschichte irgendwie drüber hinweg gerollt ist. Mein Lieblingsbeispiel dafür sind diese Bayreuther Wagner-Festspiele, die nun durch ihre Bedeutung im dritten Reich aus meiner Sicht "hochkontaminiert" waren und dennoch nach dem Krieg mit den gleichen Organisatoren - der Wagner-Familie - fortgesetzt wurden. Jemanden wie meine Cousine - ich hab sie sehr lieb - hindert ihre sonstige "Linksgrünversifftheit" (sie ist z.B. langjährige "taz"-Abonnentin) nicht daran, sich jedes Jahr in den Orchestergraben zu setzen und bei diesen Festspielen mitzuwirken...

    Aber item: das ist wohl bei historischer Aufarbeitung einfach so - Gerechtigkeit gibt es da nicht unbedingt.

    P.S.: Ich glaube, einer korrekten Zitierweise wäre auch Genüge getan gewesen, wenn Du meine peinlichen Schreibfehler nicht mit zitiert hättest.... ;).

    P.P.S.: Strassennahmenumbenennungen in der ex-DDR nach der Wiedervereinigung. Das sehe ich ein wenig anders als Du. Vielfach ist da für meinen Geschmack sogar eher sehr moderat umbenannt worden. Gar nicht unbedingt, weil betroffene Personen nicht vielleicht einen Strassennamen verdient gehabt hätten. Auch in seiner - und meiner - Heimatstadt Hamburg gibt es zu Beispiel einen Ernst-Thälmann-Platz. In der ävormaligen DDR waren das aber eben meist sehr zentrale Orte und als solche haben sie m.E. in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft nichts zu suchen. Ich persönlich kann und mag mich jedenfalls nicht zum Beispiel mit jemandem identifizieren, der als Anführer einer paramilitärischen Kamptruppe der kommunistischen Partei seinen Anteil zur Aushöhlung der Weimarer Demokratie geleistet hat.

  • Da drehst Du jetzt Ursache und Wirkung um.

    bei konsequenter Anwendung der dahinterstehenden Motivation

    Dann stünde es zwischen uns sozusagen 1:1 bezüglich solcher Verdrehungen. Ich tat es übrigens nicht absichtlich und frage mich, was denn deiner Ansicht nach richtige Ursache-Wirkung-Relation wäre. Etwa, dass man sagen würde: Wir tun es bei Le Corbusier nicht, und sollte Blocher irgendwann das Zeitliche segnen, werden wir auch auf ihn nie mehr irgendetwas kommen lassen und ihn im Gegenteil umgehend zum Nationalheiligen ex aequo neben Wilhelm Tell erheben - ergo soll man gerechterweise auch Grock einen guten Mann sein lassen?

    Wie beurteilst du denn den Fall Corbusier?

    Deine Formel "bei konsequenter Anwendung der dahinterstehenden Motivation" muss ich mir allerdings merken. Du scheinst davon auszugehen, meine bzw. "die dahinterstehende" Motivation sei, alles auszulöschen, was dem makellosen Image unseres Landes einen Kratzer verpassen könnte. Das wurde ja auch in einigen vorangehenden Post so suggeriert. Dem ist aber nicht so. Irgendwo habe ich die Bezeichnung "Botschafter der Werte der SBB" bzw. "der Schweiz" aufgeschnappt, die mir sehr passend scheint. Es geht demnach nicht um Geschichtsschreibung, sonern um ein Statement. Dieses darf und soll m.E. durchaus dem aktuellen (über die Jahrzehnte wandelbaren) Zeitgeist entsprechen. Und es gibt dabei weder juristisch noch moralisch einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Die Auswahl der 45 Auserwählten ist zwangläufig willkürlich und soll nicht anderes sein. Das heisst für mich aber eben gerade nicht auch folgendes:

    Aber item: das ist wohl bei historischer Aufarbeitung einfach so - Gerechtigkeit gibt es da nicht unbedingt.

    In der historischen Aufarbeitung wäre m.E. schon ein möglichst grosses Mass an Gerechtigkeit gefragt. Aber um eine solche geht es hier einfach nicht. Und auch nicht um Bewusstmachung problematischer Figuren der Schweizer Geschichte. Wenn man dies wollte, müsste man es entsprechend deklarieren; dann könnte man ohne weiteres und ganz bewusst auch z.B. Figuern wie Kardinal Schiner, Jürg Jenatsch, General Sutter oder Gonzague de Reynold berücksichtigen. Ich hätte nichts dagegen, man könnte ja die Bombis zum Zuge kommen lassen.

    Dass von den Führungsfiguren der KPD ausgerechnet Thälmann bis heute mit Denkmälern geehrt wird, scheint mir nicht einer gewissen Ironie zu entbehren. Ich würde meinen, es gäbe da auch andere Möglichkeiten.

    Den Wagner gönne ich deiner linksgrünversifften Cousine von Herzen. Was sie an ihm findet, muss ich ja nicht verstehen. Glaubt man dem Visconti-Film über Ludwig II., der neulich im Schweizer Fernsehen lief, scheint der Maestro auch privat eine eher zwiespältige Figur gewesen zu sein.

    P.S. Willkür im negativen Sinne fände ich es in der Tat, Grock herauszugreifen und Le Corbusier unbehelligt zu lassen - entweder beide oder keinen.

  • Lieber Fahrer Schwarz, das mit der Willkür war nicht auf Dich persönlich bezogen, sondern eher generell von mir als "Aufpassfeld" gemeint. Mit Jenatsch & Co. schreibst Du übrigens ein paar grosse (Problem-)Namen gelassen aus, womit wir uns dem Problem wieder von einer anderen Seite nähern. Zeige mir eine historische Persönlichkeit ohne unproblematisches Rezeptionspotenzial und ich benenne Dir ganze Stadtviertel in unproblematische Strassennamen aus Flora und Fauna (da geht es dann schon wieder los - gehen Raubtiere?) um....

    Bezüglich Wagner bin ich übrigens voll bei Dir, bin aber immer wieder überrascht, wie viele Menschen in meinem Bekanntenkreis in ihm - trotz völlig gegensätzlicher Weltanschauung - einen grossartigen Komponisten sehe (weshalb ich gelegentlich am mir selbst zweifle und mir selber eine weltanschulich bedingte Voreingenommenheit unterstelle - denn ich habe ich bis anhin keinen wirklichen Zugang zu dieser Musik gefunden).

    Und ja - nach gefühlten 25 Endlos-Posts und unter Bezugnahme auf Botschafter der Werte der Schweiz" resp. der SBB neigenich inzwischen wohl eher der "Entgrockung" des ICN zu...

    Mit Le Corbusier müsste ich mich nochmal näher beschäftigen, um das zu beurteilen zu können, ein wirklicher Fan seines Baustils bin ich jedoch definitiv nicht.

    Die Bombies scheiden als Potenzial für historisch-kritisch gewürdigte problematische Schweizer Persönlichkeiten übrigens leider aus (wobei das unbestritten was hätte....), die haben ja schon die Schweizer Städte.

    Frohe Pfingsten und Grüsse aus einem namenlosen komplett modernisierten IC 2020, der hier als 807 seine Runden zieht (welche 460 es ist, weiss ich nicht, da die hinten hing....😉). Aber die sind ja mit ihren meist geografischen Namen eher unverfänglich.

  • Du wolltest ja noch ein Statement zu Le Corbusier. Das nachstehend zitierte Essay fasst das eigentlich ganz gut zusammen:

    Debatte in Frankreich - Le Corbusier und der Faschismus
    Anlässlich seines 50. Todestages wollte Frankreich Le Corbusier gebührend feiern. Doch der Glanz wurde überschattet von drei veröffentlichten Büchern, in…
    www.deutschlandfunkkultur.de

    Wir sollten auf Basis unsres Wissens und v.a. der Nachkriegszeit, als es in Deutschland niemand gewesen sein wollte, nicht vergessen, dass faschistische oder faschistoide Ideen auch anderswo populär waren - genauso, wie der Kommunismus nicht nur in der Sowjetunion von vielen als Heilsbringer angesehen wurde. Nur hatten ehemalige Faschismus-Sympathisanten ausserhalb Deitschland häufig das Glück, dass niemand gross nachgefragt hat. Ich würde nach dem Wenigen, was ich jetzt gelesen habe, Le Corbusier im öffentlichen Auftreten primär als apolitischem Technokraten sehen, der sich mit jedem Regime arrangiert hätte bzw. hat, um zu bauen (die offenbar problematischere private politische Haltung lasse ich hierbei mal unberücksichtigt - die Gedanken sind frei und vermutlich ist es besser, dass man manchen Leuten nicht in den kopf schauen kann). Dass er dabei offensichtlich recht erfolgreich wandelbar war, zeigt ja sein Engagement im Vichy-Frankreich einerseits, aber auch die schnelle Übernahme wichtiger Funktionen im befreiten Frankreich nach dem Krieg. Direkte Belege für besondere Sympathien gegenüber der deutschen Spielart des Faschismus habe ich übrigens keine gefunden und - wie gesagt - Antisemitismus und eine gewisse faschistoide Grundhaltung waren in den 1920ern halt leider noch deutlich gesellschaftsfähiger als heute. Ob so jemand dann als Botschafter der Werte der Schweiz und/ oder der SBB taugt? Vielleicht schon deshalb nicht, weil er seine Schweizer Herkunft verschwiegen haben soll, um im Vichy-Frankreich Karriere machen zu können....?

    Im direkten Vergleich zu Grock würde ich - aktueller Stand des Irrtums - Le Corbusier als minim unproblematischer einschätzen. Einfach deshalb, weil eine allgemeine pro-faschistische Grundhaltung ab den 1920ern aus meiner Sicht schon noch ein anderes Paar Schuhe ist als Glückwunschtelegramme in die Reichskanzlei und die aktive Teilnahme an Propagandaveranstaltungen des dritten Reichs während des Zweiten Weltkriegs.

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