22.11.2023 - Bremsversagen SBBCI Güterzug am Simplon

  • Wenn die E-Bremse und die pneumatische gleichzeitig voll wirken, ist die Gefahr gross, dass die Lok ins Gleiten kommt. Je nach Schienenverhältnissen kann sich dann der Bremsweg sogar verlängern, verglichen mit einem alleinigen Verwenden der Luftbremse.

  • Wenn du bei einer Lok alle verfügbaren Mittel zur Schnellbremse mit maximaler Kraft dazuhohlt überberemst sie garantiert und du hast Gleiten und somot ein längerer Bremsweg. Ob die E-Bremse zählt dazukomt ist abhängig davon ob sie ausfallsicher (fahrdrahtunabhängig) ist. Weil wenn die E-Bremse voll wirkt und darum die pneumatik nicht voll aufsteuert hast du dann das Geschenk wenn die Fahrleitung verloren geht.

    Um mich selbst zu zitieren. Bei einer Lok überbremst du garantiert. Und Gleiten führt zu massiv längeren Bremswegen als nicht Gleiten.


    Und wenn du sie nutzt, musst du die pneumatische Bremskraft reduzieren und hast sie genau bei einem Ausfall dann nicht.

  • Chrigi

    Ich kann dir mal ein paar Beispiele geben:

    Die FLIRT Nordic nutzen in erster Linie die E-Bremse (auch wenn die HL abgesenkt wird). Fällt nun die E-Bremse aus und muss durch die pneumatische Bremse kompensiert werden (was automatisch passiert), verlängert sich der Bremsweg nur bei einer normalen Betriebsbremsung deutlich.

    Gleiches kannst du bei einer Zahnradbahn bei der Talfahrt beobachten. Bei der Talfahrt wird elektrisch gebremst (entweder mit Rückgabe an die FL oder über Dachwiderstände). Fällt die E-Bremse aus, beschleunigt das Fahrzeug erstmal bis das Bremssystem II (Notbremse) das Fahrzeug abbremst. Bei den MVR GTW im steilsten Abschnitt sind das schnell einmal 10km/h welche du schneller wirst.

    Bei einer Schnellbremsung hast du Verzögerungswerte die nicht überschritten werden dürfen/können. Ein Vectron hat eine E-Bremse von 150kN. Alles bis zur Grenze könnte somit noch pneumatisch eingebremst werden. Fällt nun die E-Bremse aus, verlängert sich der Bremsweg bis die pneumatische Bremse die E-Bremse kompensiert hat. Dies willst du im Notfall nicht und darum wird nicht mit der E-Bremse gebremst. Aus gleichem Grund wird ja die MG-Bremse auch nicht mehr angerechnet.

  • Es gibt immer und für fast alles eine Ausnahme, so auch bei der Benutzung eines Not-Aus Knopfes in der heute verbauten Art. Wenn man ungewollt mit ungebremster Last eine längere Strecke talwärts fährt, wäre es vermutlich sinnvoll, den Not-aus nicht zu benutzen, denn so bleibt die einzige Bremse, welche dauerfest ist, erhalten. Eine mechanische Bremse kann eine überlast nicht auf längere Zeit in Beharrung halten. Irgendwann geht Bremskraft verloren und dann wird der Zug schneller.

    Die oben beschriebenen 150kN Bremskraft sind für eine Berglok dann halt auch nicht wahnsinnig viel. Das mag auf kurzen Gefällen oder in einer NEAT durchaus ausreichen, sind aber eher wenig für eine Bergstrecke.

  • Den Not-Aus Schlagtaster zu benützen macht dann Sinn, wenn das Fz nicht mehr auf Befehle im Führerstand reagiert (z.B. keine Reaktion mehr auf Fahr- und Bremsbefehle). Dass dabei der HS ausgeschaltet und die HL mechanisch entleert wird, ist somit sinnvoll.

  • Auch eine Vectron kann mit mehr als 150kN elektrisch Bremsen, ist alles abhängig von der Fahrzeugsoftware und den länderspezifischen Vorschriften. Wenn die Bremskraft aufgrund von Gleisgeometrie beschränkt ist darf diese auch bei einer Schnellbremsung nicht überschritten werden. Grundsätzlich benutzt der Vectron auch bei einer Schnellbremsung die E-Bremse wenn im entsprechenden Land zugelassen.

    Der Taster "Notaus" ist unter Umständen (Fahrzeugabhängig) das einzige Bedienelement, welches die HL unter Umgehung der Leittechnik / des Bremsrechners entlüften kann. Bein ungenügender Bremswirkung muss(!) dieser verwendet werden.

  • Auch eine Vectron kann mit mehr als 150kN elektrisch Bremsen, ist alles abhängig von der Fahrzeugsoftware und den länderspezifischen Vorschriften. Wenn die Bremskraft aufgrund von Gleisgeometrie beschränkt ist darf diese auch bei einer Schnellbremsung nicht überschritten werden. Grundsätzlich benutzt der Vectron auch bei einer Schnellbremsung die E-Bremse wenn im entsprechenden Land zugelassen.

    Der Taster "Notaus" ist unter Umständen (Fahrzeugabhängig) das einzige Bedienelement, welches die HL unter Umgehung der Leittechnik / des Bremsrechners entlüften kann. Bein ungenügender Bremswirkung muss(!) dieser verwendet werden.

    Dem Lokführer zu sagen, er soll bei nicht ausreichender Bremswirkung die E-Bremse stilllegen ist einfach nicht besonders intelligent. Der ganze Mechanismus mit dem Notausschalter benötigt offensichtlich eine Überarbeitung (sowohl technisch wie auch bezüglich Vorschriften).

  • Ja, klar. Zulassungsbehörden, Fahrzeugherstelle, EVU... Alle doof. Was denkst du, weshalb man z.B. bei der Re460 nachträglich so ein Ventil eingebaut hat? Ganz bestimmt nicht, weil es nie Zwischenfälle gegeben hat wo die Traktionsabschaltung über die Leittechnik nicht mehr funktionierte.

  • Ja, klar. Zulassungsbehörden, Fahrzeugherstelle, EVU... Alle doof. Was denkst du, weshalb man z.B. bei der Re460 nachträglich so ein Ventil eingebaut hat? Ganz bestimmt nicht, weil es nie Zwischenfälle gegeben hat wo die Traktionsabschaltung über die Leittechnik nicht mehr funktionierte.

    Ohje, ich habe mir durchaus Gedanken gemacht bevor ich das geschrieben habe, und du interpretierst Dinge in meinen Post rein, die ich nie geschrieben habe. Keine gute Diskussionsgrundlage. Aber seis drum.

    Ich habe nie geschrieben, der Notaustaster in der heutigen Form sei überflüssig. Er erfüllt genau den Zweck, den du schreibst: Traktionsabschaltung und Bremsung im Falle Ausfall der Leittechnik (1).

    Das ist aber ein anderer Fall als (Teil-)ausfall der pneumatischen Bremse bei korrekt funktionierender Leittechnik (2).

    Was hier das Problem ist, ist, dass man die Lösung für (1) anwendet im Fall (2), und das geht dann in die Hose.

    Was die beste Lösung ist kann ich dir nicht sagen, aber denkbar wäre ein zweistufiges Nothalt-System, das in der ersten Stufe die Bremsleistung maximieren kann OHNE die Lok abzuschalten (auch hier könnte man die Leittechnik teilweise umgehen und z.B. direkt der Traktionsumrichter-Software eine Zugkraftsperre auferlegen ohne die E-Bremse stillzulegen; in diesem Zustand wäre es auch denkbar, dass man dem LF erlaubt manuell die vorgeschriebene maximale E-Bremskraft zu überschreiten) und erst in der zweiten Stufe die Lok komplett stillegt.

  • Keine Ahnung, ich bin weder kundig auf der Vektron noch habe ich Zugriff zu technischer Dokumentation, aber offensichtlich ist nicht alles umgesetzt, sonst wär der Fall so nicht passiert.

    Wenn du mehr weisst als ich dann freue ich mich sehr über einen konstruktiven Beitrag mit neuen Erkenntnissen.

  • Die Benutzung des Notaus-Tasters wird bereits heute so geschult, dass dieser nur zu verwenden ist wenn alle anderen Methoden zur Auslösung einer Schnellbremsung nicht mehr funktionieren, aus genannten Gründen.

    Dass dann jemand in der Panik diesen Schalter trotzdem betätigt und damit ev. einen schlechteren Fall herbeiruft ist lässt sich nie ganz verhindern.


    Zur Verhinderung des Falls, dass die Lok alleine den ganzen Zug zum Stillstand bringen muss gäbe es die Bremsprobe und Bremsprobe auf Wirkung. Ob und was dort schiefgelaufen ist wird die Untersuchung zeigen.

  • Auch eine Vectron kann mit mehr als 150kN elektrisch Bremsen, ist alles abhängig von der Fahrzeugsoftware und den länderspezifischen Vorschriften. Wenn die Bremskraft aufgrund von Gleisgeometrie beschränkt ist darf diese auch bei einer Schnellbremsung nicht überschritten werden. Grundsätzlich benutzt der Vectron auch bei einer Schnellbremsung die E-Bremse wenn im entsprechenden Land zugelassen.

    Der Taster "Notaus" ist unter Umständen (Fahrzeugabhängig) das einzige Bedienelement, welches die HL unter Umgehung der Leittechnik / des Bremsrechners entlüften kann. Bein ungenügender Bremswirkung muss(!) dieser verwendet werden.

    Dem Lokführer zu sagen, er soll bei nicht ausreichender Bremswirkung die E-Bremse stilllegen ist einfach nicht besonders intelligent. Der ganze Mechanismus mit dem Notausschalter benötigt offensichtlich eine Überarbeitung (sowohl technisch wie auch bezüglich Vorschriften).

    Wenigstens SBB-P hat für jedes Fahrzeug eine Bedienvorschrift erlassen, welche Bedienelemente man betätigen muss im Falle eines Falles. Ob die Sinnvoll sind (z. Bsp. 460er) ist ein anderes Thema.

    Pointierte Antworten wie immer..

  • Habe ich das richtig verstanden: Wenn Störung Leittechnik Bremsleistung verringert = Notaus ist das beste Mittel.

    Wenn Bremsleistung infolge nicht durchgehender Hauptleitung reduziert ist =
    Notaus nicht sinvoll, weil E-Bremse wegfällt.

    Jetzt ist nur noch die Frage wie der LF erkennen soll, was der Gründ der mangelden Bremsleistung ist, oder was dann häufiger vorkommt…

  • Ich fahre zwar nicht Cargo, aber die erste Reaktion eines Lf wenn etwas nicht stimmt, ist Hebel nach hinten -> Schnellbremsung

    Wenn dann keine Wirkung erfolgt wird die nächste Reaktion der Not-Aus Taster sein.

    In so einer Situation haben wir keine Zeit für wissenschaftliche Abhandlungen, du willst einfach die Kiste zum stehen bringen.

  • In so einer Situation haben wir keine Zeit für wissenschaftliche Abhandlungen, du willst einfach die Kiste zum stehen bringen.

    Das versteht sich, nur: Beim Erlass von Betriebsvorschriften, in der Ausbildung und last but not least in einer Diskussion wie dieser hat man diese Zeit sehr wohl, und es könnte dem Lf in einer solchen Notsituation sehr wohl nützlich sein, wenn sie auch bestmöglich genutzt würde.

  • Hallo zusammen

    Hui, da habe ich ja was losgetreten. Die Diskussion hier ist in der Tat noch spannend. Zwei Punkte von meiner Seite:

    1. In der Schweiz ist nach meinem Kenntnisstand explizit von SBB Infrastruktur zugelassen, dass bei einer Schnellbremsung auch elektrisch gebremst wird. Ich staune etwas ab der Begründung, dass die reguläre maximale Bremskraft auch im Notfall eingehalten werden muss. Mir scheint das auf den ersten Blick nicht besonders zweckmässig: Die maximale reguläre Bremskraft ist mindestens aus gleisgeometrischer Sicht wohl an sehr wenigen Orten im Netz wirklich relevant und an den allermeisten Orten könnte man wohl mit viel mehr Bremskraft bremsen. Es stellt sich halt dann die Frage, welches das grössere Risiko ist. Spontan hätte ich gesagt, es sei klar, dass man nicht mit mehr Bremskraft bremse, denn die Eintrittswahrscheinlichkeit für die Schnellbremsung ist viel höher als jene, dass man nicht mit mehr bremsen dürfe (wo ja dann notabene ziemlich sicher noch Sicherheitsfaktoren eingerechnet sind). Für eine wirklich fundierte Aussage fehlt mir aber die Kompetenz.

    2. Zur Aussage von Korpi , dass man eben keine Zeit hat für wissenschaftliche Abhandlungen in einem solchen Moment. Klar. Aus seiner Antwort lässt sich aber auch lesen, dass man eben so schnell wie irgendwie möglich halten will. Und gerade weil man keine Zeit hat für wissenschaftliche Abhandlungen wäre man schon gut beraten, vorher zu überlegen, was jetzt geschickt ist und das scheint mir trotz der ganzen Diskussion hier nicht vollständig zu geschehen. Und bei allem Verständnis für die Hektik in solchen Momenten: Es kann einfach Leben retten, wenn man vor der Handlung noch zwei Sekunden nachdenkt. Ich bin nicht auf Fahrzeugen mit E-Bremse oder Notaustaster kundig und kann somit nur eingeschränkt mitreden, was ich machen würde. Wenn ich nur den Ansatz merken würde, dass etwas mit der pneumatischen Bremse nicht stimmt, würde ich immer versuchen mit einer anderen Bremse noch etwas zu machen und ja, wenn es dann immer noch schneller wird, würde ich wohl auch irgendwann den Schlagtaster nehmen, aber erst, wenn ich mir sicher bin, dass auch mit elektrisch bremsen nichts passiert.

    Gruss Chrigi

    PS für alle die das Gefühl hätten, ich wisse nicht wovon ich spreche: Ich habe selber schon spannende und aufschlussreiche Bremsmesstests mitorganisiert und verantwortet. Daneben fahre ich selbst auch, wenn auch nur mit historischen Kisten und noch nicht so lange und stellt euch vor: Ich habe es in der Ausbildung live miterlebt, wie die direkte Bremse bei der Einfahrt in ein Gefälle ausstieg und plötzlich nur noch die automatische funktionierte. Ein verdammt beklemmendes Gefühl im allerersten Moment und ja, es wird schnell schneller...

  • Szene: der Lf merkt, es wird schneller, obwohl er bremst. "Ups?" -> mehr bremsen -> wird immer noch schneller -> "Scheisse!" -> den andern Bremshebel auch nach hinten -> kaum Reaktion -> "Doppelscheisse! Irgendwie wirken die Hebel nicht auf die Bremsklötze!" -> Rote Notaus-Taste -> bremst immer noch nicht -> "Wie war das bei Dürrenast? - ich spring' ab!"

    Schnitt!

    Hypothetische andere Fortsetzung: er getraut sich nicht oder will nicht abspringen, stattdessen checkt er nochmals, was er machen kann. Im Gegensatz zur Sotuation "da kommt der Gegenzug auf meinem Gleis" hat er ja noch ein paar Minuten Zeit. Erst mal tief durchatmen. Dann nach dem Motto "ich habe nichts mehr zu verlieren aber kann vielleicht noch etwas gewinnen":

    Notaus raus, Luftbremse noch voll drinlassen, Panto hoch, Hauptschalter wieder ein (geht das überhaupt während der Fahrt?).

    Jetzt mit den Bedienungselementen, die eine möglichst direkte Ansteuerung jedes einzelnen Bremssystems erlauben (weiss nicht, was eine moderne Lok da anbietet) "spielen" und testen was wirkt bzw. welche Kombination am ehesten etwas bringt.

    Unter der Annahme, dass (wie bei Dürrenast) ein Hahn der Druckluftbremse geschlossen und die mechanische Bremse der Lok überhitzt war, hätte er es besser machen können, das heisst langsamer in Domodossola einfahren können?

    Angesichts des relativ kurzen Zuges hätte ja vielleicht die E-Bremse gereicht, die Geschwindigkeit auf 40 runter oder noch tiefer zu bringen und so das Schadensrisiko der Bahnhofsdurchfahrt (Entgleisung, Kollision...) deutlich zu senken.


    Schade wäre halt, wenn die Antwort wäre "Ja, wenn er den roten Taster nie gedrückt hätte, aber wenn es erst mal aus ist, kann man nichts mehr machen, bevor die Lok stillsteht."

  • Die ganze Geschichte mit dem Notaus Taster erinnert auch an den Güterzug ohne Bremsen am Arlberg in den 00er Jahren. Auch damals war es eine Diskussion. Soviel ich weiss,wurde auch dort aber keine Anpassungen vorgenommen.

    Übrigens der Lokführer hat sich im hinteren Führerstand verschanzt, als der Zug bei 120 km/h aus den Schienen sprang. Er hat überlebt.

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