Politisch-gesellschaftliche Aspekte bei der Taufe von Dingen (aus: RABDe 500 ICN)

  • Denn damals hatte jeder, wirklich jeder der nicht einer Widerstandsgruppe angehörte eine Sympatie mit der vorherschenden Landesregierung des jeweiligen Landes.

    Falsch! Klar machten anfänglich die wirtschaftlichen Versprechen der Nazis "glänzige Äuglein". Aber als der Nazi-Machtapparat einmal installiert war, wechselte bei den Meisten die Meinung von Sympathie zu Angst.

    Es war damals sehr salonfähig sich dem 3. Reich anzubiedern.

    Nein, die "Fröntler" waren beim grössten Teil der schweizer Bevölkerung unbeliebt, wenn nicht sogar verhasst.

    Meiner Meinung nach sollte man schleunigst aufhören nach 80 Jahren die Moralkeule zu schwingen und es endlich mal als Teil unserer Geschichte zu akzeptieren.

    Irgendwo darfst auch du Recht haben.

    Gruss Beat

    Ich denke alles was ich schreibe, das Umgekehrte kann ich mir nicht leisten!
    Mein Blog

  • Mein Vorschlag wäre, die Taufnahmen aussen zu entfernen, und die Infotafeln innen mit den neuen Erkenntnissen zu ergänzen.

    Es ist für mich ein wesentlicher Faktor für das Verständnis der Geschichte, dass neu gewonnen Erkenntnisse in die bereits bekannten historischen Abläufe hineingeflochten wird, und allenfalls auch zu einer Korrektur zuvor als „Tatsachen“ deklarierter Ereignisse führt.

    Oder wie das meine ehemaliger Lehrerin am Gymnasium passend sagte: „Die Geschichte wird immer von den Gewinnern geschrieben und ist deshalb nie komplett objektiv.“

    Aus meiner Sicht wäre eine Entwidmung des Zuges falsch, definitiv noch viel falscher wäre, einfach gar nichts zu tun und den Zug und die Infotafeln zu belassen, wie sie sind. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Taufe des Zuges vor dem Publikwerden der neuen Erkentnisse geschah, und der Zug wegen des Lebenswerk, das per se keinen Zusammenhang hatte, entsprechend getauft wurde.

    Für bleibt Adrian Wettstein alias Grock, eine Person, deren Namen und grobes Lebenswerk „man“ durchaus kennen sollte im Sinne einer soliden Allgemeinbildung - genau so wie die anderen auf den ICN verewigten Persönlichkeiten.

    Ach ja, man könnte ja auch noch einen Schritt weitergehen, und reklamieren, dass mit Annemarie Schwarzenbach, Germaine de Staël, Johanna Spiry, Alice Rivaz und Jeanne Hersch lediglich 5 von insgesamt 46 (zwei Züge sind jeweils zwei Personen gewidmet) nach Frauen benannt wurden, dann müssten jetzt noch 17 weitere umgetauft werden damit es ausgeglichen wäre…

  • Ich persönlich würde die Namen "Grock" aussen stehen lassen und die Infotafeln entsprechend der neuen Gegebenheiten anpassen.

    Btw - wie viele Personenen werden sich überhaupt die Namen und Infotafeln effektiv anschauen?

    Schätze über 90% will einfach von A nach B kommen und denen ist es egal wie der Zug nun heisst.

    Freundlicher Gruss Luca
    SBB - BLS - RM = DC Bahner 8)

  • Wenn wir das nicht schaffen, würde Adolf Ogi ( * 1942 !! ) wohl nicht mehr zum Bundesrat gewählt. Denn er ist aus einer Familie, die den Namen "Adolf" damals mochte... Mutmassliche Nazi-Sympathisanten oder was? :rolleyes2

    Warum sollte es für die Wahl eines Bundesrats relevant sein, was seine Eltern für eine politische Einstellung hatten? Ich gehe nicht davon aus, dass er sich seinen Vornamen damals selbst aussuchte...

    Ausserdem war dieser Vorname selbst 1942 noch "normaler" oder was weiss ich, das ist etwas zu weit hergeholt jetzt.

  • Warum sollte es für die Wahl eines Bundesrats relevant sein, was seine Eltern für eine politische Einstellung hatten? I

    Das dürfte heute sehr wohl ein Thema sein, denn irgendwem passt dies jeweils nicht und je nachdem wo die Person sitzt hat ihre Meinung mehr Gewischt und kann hier verhindernd wirken.

    Es wird ja heute überall nach Dreck gesucht, egal wie weit hergeholt und wie unbedeutend.

  • Ein Bundesrat wird heutzutage Gottseidank noch nicht wegen der Gesinnung seiner Eltern gewählt...

    Ein französischer Spielfilm über dem Vorname "Adolphe/Adolf": Wikipedia

    Davon gibts auch ne Deutsche Adaption:

    Der Vorname (D, 2018)

    Bei mir gibts die Duskussion immer warum ich nicht Thomas Mann heisse,

    da ich ja ein Mann sei (...).

    Ich kontere darauf immer dass ich halt anders heisse, nämlich

    Thomas Anders.

    Mütze


    ...und schon wieder ein nichtsssagender Beitrag von mir...

    :rolleyes2

  • Eine spannende Diskussion, auf die ich leider erst jetzt gestossen bin. Und ich bin ehrlich gesagt unentschieden, welcher Meinung ich mich hier anschliessen soll. Klar, im Gegensatz zu deutschen Künstlern oder Wissenschaftlern, die nicht emigriert sind oder es vielleicht auch gar nicht konnten, hätte sich Grock nicht der Nazi-Führung anbiedern müssen (Auftritte für KdF-Anlässe noch während des Zweiten Weltkriegs sind schon relativ starker Tobak und m.E. nicht mit der Angst vor einer potentiellen Eroberung der Schweiz zu begründen - an die ich persönlich übrigens nicht unbedingt glaube, weil die neutrale Schweiz für Nazi-Deutschland möglicherweise mehr Vorteile brachte als eine besetzte). Andererseits frage ich mich, wieviele durchaus positiv besetzte Persönlichkeiten man aus der kollektiven Erinnerung des grossen Kantons streichen müsste, um da gleichzuziehen: Heinz Rühmann, Hans Albers, Heinrich George, Wilhelm Furtwängler, um nur ein paar Kulturschaffende zu nennen oder auch Persönlichkeiten aus der Wissenschaft wie Ferdinand Sauerbruch. Von Hindenburg mal ganz zu schweigen, wobei dessen Rolle wohl zum Weichgezeichnetsten der (west-)deutschen Nachkriegshistoriographie gehören dürfte und die Umbenenneung aller Hindenburgstrassen, -plätze und -dämme wohl tatsächlich überfällig wäre.

    Zurück zum Grock: das Schlauste wäre es sicher gewesen, den Zug nie so zu benennen. Aber nun heisst er nunmal so. Von daher wäre eine kritische Kommentierung an der Erläuterungstafel m.E. durchaus ein gangbarer Weg - vielleicht sogar der Bessere als die schlichte Tilgung des Namens, weil so die kritische Auseinandersetzung mitmdiesem Teil der Geschichte - Grock dürfte bei weitem nicht der einzige Sympathisant des tausendjährigen Reiches gewesen sein und gerade bis 1938 waren die in ganz Europa noch recht zahlreich - in den öffentlichen Diskurs gebracht würde.

  • Auf die Problematik des "Grock" könnte man auch mit einer Umbenennung aufmerksam machen, wenn diese dann in den Medien auch diskutiert wird, weil dann das Thema in der Öffentlichkeit behandelt wird. Es muss ja keine stillschweigende Tilgung sein oder was weiss ich.

    Das wäre auch nicht die erste politisch motivierte Umbenennung eines Eisenbahnfahrzeugs: Irgendwann in den 1980er-Jahren wurde die British Railways A4 60009 (ursprünglich LNER A4 4488) "Union of South Africa" zu "Osprey" umbenannt, weil man sich von der Apartheid in der Republik Südafrika klar distanzieren wollte. Nach dem Ende (ich weiss nicht, wie viel nachher) der Apartheid im Jahre 1994 erhielt die Lok ihren ursprünglichen Namen zurück.

  • Jonistan,

    Dann wären wir aber wieder bei der Cancel Culture wo alles solche ausradiert werden muss, unsere Geschichte für ein besseres Gewissen gereinigt werden muss...

    In meinen Augen ist der Vorschlag von Bärentritt wesentlich besser, denn eigentlich galt die Ehre der Benennung dem künstlerischen welche die Person als Grock gemacht hat und nicht in erster Linie der Person hinter Grock. Dies müsste dann auch so entsprechend vermerkt werden und man sähe, dass man sich damit auseinander gesetzt hat.

    Freundlicher Gruss Luca
    SBB - BLS - RM = DC Bahner 8)

  • Warum wäre man dann dort? Es gibt einen Unterschied, ob man das irgendwie bespricht oder ob das stillschweigend geschieht.

    Und vor 40 Jahren hätte auch niemand behauptet, man hätte Südafrika "gecancelt". Abgesehen davon macht man sich meiner Meinung nach mit dem Ausdruck sowieso eher lächerlich, ganz egal, welche Meinung man vertritt.

  • Ich finde ebenfalls den Vorschlag von Bärentritt am sinnvollsten.

    Aus meiner Sicht ist aber durchaus berechtigt, sich mal Gedanken zu machen, wie es vor über 20 Jahren noch möglich war, dass bloss 5 von 44 ICN ein weiblicher Namensgeber gefunden haben.

    Vielleicht sind ja die 512 hier eine Möglichkeit etwas zu machen?

  • Für mich macht es schon einen Unterschied, ob ein Kulturschaffender sich lediglich mit den NS-Regime arrangierte oder ob er explizit für dieses Stellung nahm. Grock mag sich diesbezüglich in einem Graubereich bewegen, wobei mich dünkt, dass seine Anbiederung mit den Regime doch einen Schritt weiter ging und v.a. unnötiger war als jene der von Bärentritt aufgezählten Beispiele Rühman, Albers, George und Furtwängler. Beim anderen von mir erwähnten Entwidmungskandidaten, Le Corbusier, scheint mir die Sache etwas andere auszusehen und die Grenze des Tolerierbaren klar überschritten zu sein. Ich beziehe mich dabei auf seine Aussage: «Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem grossartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas.» Hinzu kommt, dass nach Auffassung etlicher Architekurkritiker das faschistische Programm durchaus auch in seinem Werk wiedererkennbar ist.

    Persönlich könnte ich zwar auch mit der Lösung 'Informationstafeln' leben, halte sie aber doch für die bloss zweitbeste. Was wäre denn so schlimm an einer Entwidmung, zumal der Frauenanteil ja durchaus noch steigerungsbedürftig wäre? Cancel Culture ist definitiv etwas anderes. Eine Entwidmung müsste auch keinesfalls bedeuten, dass man die in Ungnade Gefallenen dem Vergessen anheimfallen lässt. Eine öffentlich bekanntgegebene und (wie hier) kontrovers diskutierte Entwidmung würde ihnen sogar mehr Aufmerksamkeit eintragen als die stille und heimliche Montage einer Infotafel.

    Vor allem aber würde ich der SBB sehr raten, beide Fälle gleichzeitig zu bereinigen.

  • Wenn die Entwidmung keine Cancel Culture ist, was ist es dann?

    Mit einer Entwidmung wird ein Puzzle Teil aus der Vergangenheit entfernt, man ist bestrebt die Vergangenheit zu säubern. Also, was anderes ist es denn dann?

    Weil in der Vergangenheit etwas schlecht war, muss und darf es nicht gelöscht werden. Wir müssen dies im Bewusstsein halten damit es nicht plötzlich wieder geschieht. Das schaffen wir aber nicht, wenn wir all die verschiedenen Puzzleteile der Vergangenheit ändern.

    Besser ist darauf hinzuweisen, so bleibt es im Gedächtnis (Egal ob nun beim ICN oder anderen Angelegenheiten)

    Freundlicher Gruss Luca
    SBB - BLS - RM = DC Bahner 8)

    Einmal editiert, zuletzt von sbb_bls_rm (27. Mai 2023 14:31)

  • Es geht doch eben genau nicht darum, etwas zu verdrängern, sondern dass man das Verehren einstellt. Es ist doch eine Anerkennung so geehrt zu werden, keine Mahnung. Namen von Strassen und Zügen dienen dem Ehren/Anerkennen der Benannten, nicht dem Erinnern an schlechtes.

    Ansonsten, warum sind denn die ganzen Adolf-Hitler-Strassen in Deutschland verschwunden? Als Säuberung zur Verdrängung? Wohl kaum. Als Mahnung hätten die deiner Logik nach so weiter genannt werden müssen, denn bei diesem riesigen Unrecht hätte es ja gleiche viele hunderte Strassen zur Mahnung gebraucht (und nicht nur ein Zug).


    Gruss

    Florian

  • Florians Statement habe ich nichts beizufügen, aber ich möchte noch die Frage beantworten, was denn Cancel Culture sei. Ein krasses Beispiel finde ich z.B., wenn man nicht mehr von Müttern und Vätern sprechen darf, sondern nur noch von 'gebärendem Elternteil' oder 'Person mit Penis' etc. Schon etwas verzwickter wird die Sache bei Altstadthäusern mit Namen wie 'zum Mohr' u.ä. und entsprechenden Reliefs. Da stellen sich dann tatsächlich heikle Ermessensfragen. Grundsätzlich wäre auch mal zu klären, ob eine Bezeichnung schon dann als diskriminierend zu gelten hat, wenn sie von irgendjemandem als verletzende empfunden wird. oder ob nach objektivierenden Kriterien zu suchen ist.

  • Ansonsten, warum sind denn die ganzen Adolf-Hitler-Strassen in Deutschland verschwunden? Als Säuberung zur Verdrängung? Wohl kaum. Als Mahnung hätten die deiner Logik nach so weiter genannt werden müssen, denn bei diesem riesigen Unrecht hätte es ja gleiche viele hunderte Strassen zur Mahnung gebraucht (und nicht nur ein Zug).

    Das sind jetzt Gedankengänge, die für mein Schweizer Hirn zu abstrakt sind.

    Hat man diese Strassen erst nach dem 2. Weltkrieg so banannt, und dann plötzlich umbenannt?

    Was ist denn seit 2003 (Taufe des ICN) anders als 2023 im Zusammenhang mit Grock?

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